Die verrückten Gewinne vom Februar und März würde ich heute nicht mehr erzielen, vor allem aus psychologischen Gründen und weil Glück eine Rolle gespielt hat:
Meine Wette war, dass uns Corona noch eine Weile beschäftigen wird und die Quarantäne-Meldungen aus China aus meiner Sicht nicht zum Allzeithoch des DAX und S&P500 gepasst haben. Ich hatte mit einem Rückgang von 10-20% gerechnet, der auch eingetreten ist.
In der Zeit konnte ich die Put-Optionsscheine aus Überzeugung halten und habe sie dann einfach weiter laufen lassen. Aber: Ich war auch naiv genug, um sie weiter zu halten. Das würde ich heute nicht mehr schaffen, weil ich viel zu oft auf den Chart schaue und die Preisbewegungen zu genau verfolge. Im Februar/März hatte ich 1-2x am Tag reingeschaut und fertig.
Ich weiß nicht, wie es gelaufen wäre, wenn die Kurse um 20% eingestürzt und dann sofort wieder gestiegen wären. Vermutlich wäre ich auf 0 oder mit leichtem Verlust raus. Es ist eindeutig reine Glückssache gewesen, dass der Absturz so schnell und heftig kam. Es hätte sich auch länger ziehen können mit ungewissen psychologischen Konsequenzen.
Ich habe zu lange dieselben Scheine gehalten. Auf der einen Seite gab es dadurch einen Steuerstundungseffekt, auf der anderen Seite wäre die deutlich klügere Strategie gewesen, Gewinne früher zu realisieren und nur einen Bruchteil in andere Scheine mit höherem Hebel zu stecken, wobei ich nicht weiß, ob es die zu dem Zeitpunkt überhaupt gab. Vor ein paar Wochen habe ich einen Post dazu auf Reddit verfasst, der Erkenntnisse über Hebel und prozentuale Performance zusammenfasst.
Ab Mitte März war ich zu lange im Bear-Modus, anstatt Abstand zu gewinnen und zu überlegen, was an den Märkten passiert ist. Alle Aktien mit 40% oder mehr im Sonderangebot – da hätte ich zuschlagen müssen. Selbst wenn der Markt weitere 20% gefallen wäre, hätte ich langfristig einen guten Preis erzielt. Den Einfluss der FED/EZB und des Zinses auf die Märkte habe ich erst deutlich später verstanden und maximal unterschätzt.
Hier sind meine gesamten Gewinne und Verluste seit Februar:
Am 18.6. habe ich zum Vergleich ein Musterdepot angelegt und einmalig 500.000€ Papiergeld in den ACWI gesteckt. Der ist heute mit rund 10% im Plus. Wenn ich dieses Datum als Baseline nehme für einen mentalen Wechsel in den Bullenmodus, dann sehen meine Trades nicht so toll aus: Seit KW25 habe ich knapp 15.000€ Brutto-Gains gemacht – eine deutliche Underperformance gegenüber dem Musterdepot:
Unterm Strich:
Meine ursprüngliche Wette ging auf – die Ausführung dieser Wette lässt jedoch zu wünschen übrig. Glück und Naivität spielten bei der Ausführung eine große Rolle. YTD kann ich zwar zufrieden sein, der Preis dafür ist jedoch, dass ich es aktuell mental kaum schaffe, den Buy & Hold-Ansatz weiter zu verfolgen.
- Ich komme einfach nicht in den Bullenmodus
- Ich glaube nicht mehr an die Efficient-Market-Hypothesis
- Mir fällt es schwer, einen breiten Index zu kaufen, weil Schrott enthalten ist (Tesla)
- Ich müsste eigentlich Sektoren kaufen, die immer noch stark abgewertet sind (Finanzen, Energie)
- Ich finde die Idee von Einzeltiteln interessant, auch wenn ich die Nachteile kenne
- Ich kenne leider keine bessere Strategie als passives Investment in einen ETF
- Aktives Trading ist schwierig und je häufiger man tradet, desto eher verliert man
- Ich muss mich regelrecht neu konditionieren, passiv zu Investieren und Cost-Averaging zu betreiben
Beim letzten Punkt hilft, dass wir spontan in der Nachbarschaft ein Haus gekauft haben. Das Angebot an Häusern in unserer Stadt ist ohnehin mangelhaft und miet- oder kaufbare Wohnungen mit 5-6 Zimmern existieren praktisch nicht (egal zu welchem Preis). Insofern stecke ich nun einen Großteil des Depots mit einem Wert von knapp über 1 Mio € in ein illiquides Haus. Ob das finanziell Sinn macht, wird man erst in X Jahren sehen. Ich betrachte es als Konsumgegenstand mit gewissem Wertverlust, aber hier geht es nicht einzig und allein um finanzielle Optimierung. Es passt vom Lebensabschnitt her genau jetzt. Zwei kleine Kinder, Bedarf für Home-Office, selbe Nachbarschaft und daher dasselbe soziale Umfeld. Wenn nicht jetzt ein Haus, dann nie mehr. Darüber hinaus kann ich so neu anfangen, kleinere Beträge in Aktien zu stecken und Cost-Averaging zu betreiben.
Buchempfehlung an dieser Stelle: Einfach genial entscheiden im Falle einer Finanzkrise: Konstruktive Crashgedanken – Hartmut Walz schreibt unaufgeregt über Herausforderungen der Eurozone, darüber, was Crash-Propheten falsch machen, über den starken Einfluss von Zinsen auf Immobilien und viele andere interessante Dinge, die mir aktuell sehr helfen, mental aus dem Bärenmodus herauszufinden.
Darüber hinaus noch einige Blogs, die ich in den letzten Wochen entdeckt habe:
- PriceActionLab – über Trading, Trading-Systeme und wie schwierig es ist (nicht alles ist gratis zugänglich, aber die kostenlosen Artikel sind sehr gut)
- Artikel über Ponzi-Schema Bitcoin (und weitere auf demselben Blog über Investment in Einzeltitel)
- Überlegungen zu passivem Investieren