Aktien Halten und Hoffen

Eine Erkenntnis, für die ich 6 Jahre lang an der Börse sein musste, damit es endlich Klick gemacht hat: Eine Aktie halten bedeutet, sich in jedem Augenblick dafür zu entscheiden, erneut in die Aktie einzusteigen. Wenn man nur einen einzigen Augenblick betrachtet, sind Cash und die Aktienposition exakt dasselbe. Man ist derart krass auf seinen Einstiegskurs geankert, dass man das schnell vergisst.

Ein Trade läuft in die falsche Richtung und schnell stellt sich das Gefühl ein, dass man jetzt nur noch ohne Verlust raus will. Das ist emotionaler Stress. Die roten Zahlen helfen dabei auch nicht. Wenn man jedoch eine Momentaufnahme macht, könnte man auch folgenden tollen Trick anwenden: Position verkaufen und sofort wieder kaufen. Schwups, sind die roten Zahlen weg und es geht wieder bei 0 los. Das ist Halten. Halten bedeutet, dass man darauf wettet, dass der Kurs sich ab diesem Zeitpunkt erholt und nicht tiefer geht.

Die Kurserholung wird höher gewichtet als ein weiterer Absturz.

Leider ist das oft eine sehr emotionale Entscheidung. Klar kann man einen Dip auch mal „aussitzen“, allerdings darf man sich nichts vormachen: Es gibt keine unrealisierten Verluste. Verluste sind immer vorhanden. Wenn das Depot bei -10% steht, dann ist das ein realer Verlust.

Natürlich kann man nun darauf spekulieren, dass sich der Kurs erholt, beispielsweise, weil die Fundamentaldaten ja eigentlich stimmen müssten. Oft gibt es aber einen Grund für den Absturz und es stellt sich die Frage, ob das gewählte Vehikel immer noch das richtige ist. Es gibt keinen rationalen Grund, ein schlecht laufendes Vehikel weiterhin zu besitzen, wenn es noch mehr Potenzial für Abstürze gibt.

Man sollte das immer in Bezug auf das gesamte Portfolio betrachten. Es geht um die Gesamtperformance, nicht um die Performance der Einzeltitel. Wenn man das einmal kapiert hat, wirklich kapiert hat, dann sollte man auch ohne große Emotion einen Titel aus dem Depot werfen können, der fett im Minus hängt, wenn unklar ist, ob der sich jemals erholt.

Bzgl. Wirecard konnte ich gestern mehrfach lesen: „Jetzt ist es auch egal. Ich halte bis zum Totalverlust. Es kommt nicht mehr drauf an.“ – doch kommt es. 35€ ist immer noch ein Ausstiegspreis, der höher ist als 10€. Halten ist das Gleiche wie Verkaufen und sofort neu Kaufen. Es lohnt sich zu überlegen, ob man hier einfach auf den Einstiegspreis geankert ist oder ob man wirklich Aufwärtspotenzial sieht.

Umgekehrt funktioniert das natürlich genauso – eine gut gelaufene Aktie weiterhin zu halten bedeutet, dass man sich in jedem Augenblick dafür entscheidet, jetzt zu Verkaufen und neu zu Kaufen.

Was mich zum letzten Punkt bringt, der mir immer noch sehr schwer fällt: „Ich kaufe die Aktie (aktuell) nicht, weil sie schon so hoch ist“. Wie oft habe ich das schon gedacht. Rein emotional betrachtet halte ich lieber eine Aktie, die gut gelaufen ist als zum selben Zeitpunkt nachzukaufen. Warum? Wenn ich Halte, spekuliere ich auf weiteres Aufwärtspotenzial. Dann könnte ich auch nachkaufen, wenn ich sowieso Cash rumliegen habe, das ich investieren will.

(Ich vernachlässige in diesem Post Transaktionsgebühren und ggf. Cashflow-Einschränkungen durch Steuern sowie Depot-Gewichtungen – mir geht es um die emotionale Kompotente bei den Investments.)

6 Kommentare zu „Aktien Halten und Hoffen

  1. Schöner Artikel, danke dir! Bei gut gelaufenen Positionen, die ich halte, fällt es mir genauso schwer, nachzukaufen und ich halte lieber – obwohl systematisch ein Pyramidisieren und Verteuern viel logischer wäre, als Cash zu halten oder sogar noch schlechter gelaufene Positionen zu „verbilligen“.

    Aber:
    „Es gibt keinen rationalen Grund, ein schlecht laufendes Vehikel weiterhin zu besitzen, wenn es noch mehr Potenzial für Abstürze gibt.“ – Wird beim antizyklischen Investieren aber schwer, es sei denn man hat Fähigkeiten entwickelt, dauerhaft exakt den Tiefpunkt zu entwickeln. Und gibt es generell nicht immer Potenzial für (z.B. marktbedingte) Abstürze? Vielleicht sollte man beim Kauf einfach klar definieren, bis wohin man aus welchen Gründen mitgehen würde. Oder so… Wie machst du das in der Praxis oder investierst du grundsätzlich nie gegen einen Trend?

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    1. Schön, dass ich nicht der einzige bin, dem das Nachkaufen zu Allzeithochs schwer fällt 😉

      Antizyklisches Investieren und wann investieren: Exzellente Frage und ich muss ehrlich sagen, dass ich das aktuell nicht richtig beantworten kann. Ich war seit 2014 Buy & Hold-Anleger und habe ca. 1x pro Jahr nachgekauft ohne wahnsinnig auf den Kurs zu achten. Der große Vorteil ist, dass man keine Zeit mit Börsenkram verplempert. Ich hab bis Anfang des Jahres eher selten auf Kurse geschaut.

      Nun interessiert mich das Thema aber mehr und wenn man dann aber sein Depot in 2 Wochen verdoppelt, kommt man schon ins Grübeln, wie die zukünftige Strategie aussehen soll. Aktuell schaue ich täglich mehrfach auf diverse Kurse. Hilft das? Weiß auch nicht.

      Fakt ist: Ich hab es versäumt, beim Tiefpunkt zu kaufen. Ich hab Apple im Februar bei etwa 275€ aus dem Depot geworfen, den Absturz vermieden, aber die Rally auf neue Höchstände verpasst. Halten wäre im Fall von Apple besser gewesen. Nachkaufen sowieso.

      Ich tue mir unglaublich schwer damit, zum jetzigen Zeitpunkt zu kaufen, weil sich der gesamte Markt fake anfühlt. Ich hab 90% weiterhin in Cash.

      Bleibt halt immer die Frage, ob und wann der nächste Dip kommt und wie stark der ausfällt, damit man antizyklisch investieren kann und ob das letztendlich geschickter ist als einfach jetzt sofort zu kaufen. Fällt Apple nochmal unter 300$? Vielleicht ja, vielleicht nie wieder. Dann wäre der jetzige Höchststand trotzdem der richtige Einstiegszeitpunkt.

      > „Vielleicht sollte man beim Kauf einfach klar definieren, bis wohin man aus welchen Gründen mitgehen würde“

      Vielleicht. Oder man macht halt doch Buy & Hold: Kaufen, mit der Absicht, nicht mehr so schnell zu verkaufen, damit man sich diese Art der Entscheidung in Zukunft spart.

      Ich wünschte, ich könnte hier eine klarere Antwort geben. Letztendlich muss ich für mich leider auch erst noch sortieren, wie ich mit Käufen und Verkäufen zukünftig umgehe 🙂

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  2. Bzgl. Wirecard konnte ich gestern mehrfach lesen: „Jetzt ist es auch egal. Ich halte bis zum Totalverlust. = ein schommeliges Brot kann man nur noch wegwerfen. Für 100 Wirecard-Aktien gibt es dagegen immer noch über tausend Euro (wobei es völlig egal ist, was mal mal dafür bezahlt hat), und dafür kann man dann aussichtsreichere Papiere kaufen.

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